Psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Zwangsstörungen sind weit verbreitet und können jeden treffen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit rund 280 Millionen Menschen von Depressionen betroffen – und über 300 Millionen leiden an einer Angststörung. Auch in Deutschland gehören diese seelischen Leiden zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt. Dennoch fühlen sich Betroffene oft allein oder schämen sich, Hilfe zu suchen. Dabei handelt es sich um ernstzunehmende medizinische Zustände, die in den meisten Fällen gut behandelbar sind. Im Folgenden werden die Ursachen, der typische Verlauf und die Therapiemöglichkeiten von Depression, postpartaler Depression, Angststörungen, Panikattacken und Zwangserkrankungen beschrieben – und es wird erklärt, was Betroffene tun können, um Hilfe zu erhalten.
Depression - mehr als nur „traurig sein“
In unserer Alltagssprache wird das Wort „depressiv“ oft für schlechte Stimmung oder Traurigkeit verwendet. Doch eine klinische Depression geht weit über normale Stimmungsschwankungen hinaus: Es handelt sich um eine ernsthafte psychische Störung, die durch anhaltende Niedergeschlagenheit, Interessenverlust und diverse körperliche Symptome gekennzeichnet ist. Depressive Störungen gehören zu den häufigsten und zugleich am meisten unterschätzten Erkrankungen. Schätzungsweise erkrankt jeder fünfte Mensch im Laufe seines Lebens an einer Depression, und pro Jahr sind allein in Deutschland über fünf Millionen Erwachsene betroffen. Frauen sind dabei etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer.
Ursachen: Die genauen Ursachen einer Depression sind komplex und noch nicht vollständig verstanden. Meist kommt ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren ins Spiel. Genetische Veranlagung, neurobiologische Veränderungen im Gehirn (insbesondere bei Botenstoffen wie Serotonin) sowie chronischer Stress und belastende Lebensereignisse können das Risiko erhöhen. Oft entwickeln sich Depressionen aus einer Mischung von biologischer Anfälligkeit (Vulnerabilität) und auslösenden psychosozialen Faktoren wie z.B. Verlusten, Überlastung oder traumatischen Erfahrungen.
Symptome und Verlauf: Typische Anzeichen einer Depression sind andauernde tiefe Traurigkeit, Freud- und Interessenverlust (selbst Aktivitäten, die früher Spaß gemacht haben, erscheinen sinnlos) sowie Antriebslosigkeit und schnelle Erschöpfbarkeit. Hinzu kommen oft Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen (Ein- oder Durchschlafprobleme) sowie vermindertes Selbstwertgefühl und unbegründete Schuldgefühle. Viele Betroffene berichten von innerer Leere, Hoffnungslosigkeit und dem Gefühl, emotional wie “abgestumpft” zu sein. Körperliche Beschwerden wie Appetitverlust, Gewichtsveränderungen, Kopf- oder Rückenschmerzen können ebenfalls auftreten. Wichtig ist: Diese Symptome halten bei einer echten Depression über Wochen an (mindestens zwei Wochen ununterbrochen) und beeinträchtigen den Alltag erheblich. Unbehandelt kann eine depressive Episode Monate dauern; häufig kommt es im Leben zu wiederholten Episoden (rezidivierende Depression). In schweren Fällen können auch Gedanken an den Tod oder Suizid auftreten – hier ist rasche professionelle Hilfe dringend nötig.
Behandlung: Eine gute Nachricht ist, dass Depressionen heute gut behandelbar sind. Die wirksamsten Therapien sind eine Kombination aus Psychotherapie und Medikamenten. In einer Psychotherapie (etwa einer kognitiven Verhaltenstherapie oder tiefenpsychologisch fundierten Therapie) lernen Betroffene, negative Gedankenmuster zu erkennen und zu verändern, aktiv gegen den Rückzug anzusteuern und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Parallel dazu können Antidepressiva wie selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs) eingesetzt werden, welche die Botenstoffe im Gehirn regulieren und so Stimmung sowie Antrieb verbessern. Diese Medikamente machen nicht abhängig und zeigen bei vielen Patienten nach einigen Wochen eine stimmungsaufhellende Wirkung. Wichtig ist Geduld: Der Effekt tritt meist erst nach 2–4 Wochen ein. Bei sehr schweren Depressionen oder wenn andere Maßnahmen nicht ausreichen, können zusätzliche Behandlungen erwogen werden – zum Beispiel Lichttherapie (bei saisonaler Winterdepression), elektrokonvulsive Therapie (EKT) oder transkranielle Magnetstimulation (rTMS). Auch diese erfolgen stets in Absprache mit Fachärzt:innen. Unterstützend wirken außerdem körperliche Aktivität (Bewegung, Sport), ein geregelter Schlaf-Wach-Rhythmus und soziale Unterstützung durch Familie und Freunde. Wird eine Depression früh erkannt und behandelt, bestehen sehr gute Chancen, dass es Betroffenen bald wieder besser geht.
Postpartale Depression (Wochenbettdepression)
Launenhafte Verstimmungen kurz nach der Geburt – der sogenannte „Baby Blues“ – sind vielen Müttern bekannt: In den ersten Tagen nach der Entbindung erleben bis zu 50–70 % aller Frauen plötzliche Weinkrämpfe, Stimmungsschwankungen und Ängstlichkeit. Diese Baby-Blues-Symptome verschwinden aber meist innerhalb von zwei Wochen von selbst. Hält die Niedergeschlagenheit jedoch länger an und wird immer ausgeprägter, könnte eine postpartale Depression (Wochenbettdepression) vorliegen. Schätzungen zufolge entwickeln etwa 10 bis 15 Prozent der Frauen in den Monaten nach einer Geburt eine postpartale Depression. Es handelt sich dabei um eine echte depressive Störung, die meist innerhalb der ersten 4–6 Wochen nach der Entbindung beginnt. (Auch manche Väter können nach der Geburt an depressiven Verstimmungen leiden, wenngleich seltener.)
Ursachen und Risikofaktoren: Die Entstehung einer postpartalen Depression wird mit den rapiden hormonellen Veränderungen nach der Geburt in Verbindung gebracht. Innerhalb weniger Tage sinken die Schwangerschaftshormone (Östrogen, Progesteron) drastisch ab, was bei empfindlichen Frauen das seelische Gleichgewicht durcheinanderbringen kann. Hinzu kommen körperliche Erschöpfung nach Schwangerschaft und Geburt, Schlafmangel durch das Neugeborene sowie enorme Veränderungen im Alltag und neue Verantwortung als Mutter. Auch psychologische und soziale Faktoren spielen eine Rolle: Frauen mit einer persönlichen oder familiären Vorgeschichte von Depressionen haben ein erhöhtes Risiko. Ebenso können fehlende Unterstützung im Umfeld, Partnerschaftsprobleme oder ein traumatisches Geburtserlebnis begünstigende Faktoren sein.
Symptome: Eine postpartale Depression äußert sich mit ähnlichen Symptomen wie andere Depressionen: anhaltende Niedergeschlagenheit, tiefe Erschöpfung, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen und Interessenverlust. Typisch sind jedoch zusätzlich starke Gefühle von Wertlosigkeit und Schuld als Mutter. Betroffene Frauen haben Schwierigkeiten, eine emotionale Bindung zu ihrem Baby aufzubauen – sie empfinden kaum Freude oder Liebe im Umgang mit dem Kind und zweifeln an ihren mütterlichen Fähigkeiten. Daraus entsteht häufig Scham („Ich müsste doch glücklich sein“), was die Isolation verstärkt. Oft bestehen auch übertriebene Ängste um die Gesundheit des Kindes oder es treten aufdrängende Zwangsgedanken auf (z.B. die quälende Vorstellung, dem Baby könnte etwas zustoßen). Die Symptome dauern länger als 14 Tage an und können leicht, mittel oder schwer ausgeprägt sein. Unbehandelt besteht die Gefahr, dass sich eine Wochenbettdepression chronifiziert und die Mutter-Kind-Bindung langfristig belastet.
Behandlung – was tun? Das Wichtigste ist, dass sich frischgebackene Mütter mit Depression schnell Hilfe suchen und wissen: Sie sind damit nicht allein und keine “schlechte Mutter”. Eine postpartale Depression lässt sich in den meisten Fällen gut behandeln. Je nach Schweregrad wird eine psychotherapeutische Behandlung – vorzugsweise eine Psychotherapie, die speziell auf Mütter in der postpartalen Phase zugeschnitten ist – mit einer medikamentösen Therapie kombiniert. Bei leichteren Formen steht zunächst die Psychotherapie im Vordergrund, welche auch darauf abzielt, die gestörte Mutter-Kind-Bindung zu verbessern. In mittelschweren bis schweren Fällen empfehlen Ärzt:innen zusätzlich ein Antidepressivum. Hier kommen meist SSRIs (z.B. Sertralin oder Citalopram) zum Einsatz, da diese als stillverträglich gelten und gut untersucht sind. Die Medikamente helfen, die Stimmung zu stabilisieren, brauchen aber etwas Zeit, bis die Wirkung einsetzt (oft 2–4 Wochen). Wichtig ist eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung und engmaschige ärztliche Begleitung. In sehr schweren Fällen, in denen vielleicht sogar Suizidgefahr besteht oder die Versorgung des Babys gefährdet ist, kann ein kurzzeitiger stationärer Aufenthalt in einer Klinik nötig sein – idealerweise in einer Mutter-Kind-Einheit, damit das Baby mit aufgenommen werden kann. Darüber hinaus sollten Partner, Familie oder die Hebamme frühzeitig einbezogen werden: Praktische Hilfe im Alltag, Entlastung der Mutter sowie vor allem emotionaler Beistand sind enorm wichtig für die Genesung. Mit der richtigen Unterstützung und Behandlung können Mütter eine postpartale Depression überwinden und wieder Zuversicht und Freude im Umgang mit ihrem Kind finden.
Angststörungen (Generalisierte Angststörung)
Angst ist grundsätzlich eine normale, ja überlebenswichtige Emotion – sie alarmiert uns vor Gefahren. Bei einer Angststörung jedoch verselbständigt sich die Angst und tritt übermäßig stark oder anhaltend auf, ohne dass eine reale Bedrohung besteht. Angststörungen treten in unterschiedlichen Formen auf, z.B. als Phobien (intensive Ängste vor konkreten Objekten oder Situationen, etwa Höhenangst oder Sozialphobie) oder als Panikstörung (wiederholte Panikattacken, siehe nächster Abschnitt). Eine häufige Form ist die Generalisierte Angststörung (umgangssprachlich auch “Angstneurose” genannt). Dabei leiden Betroffene unter ständiger Sorge und Anspannung, die sich auf viele Lebensbereiche beziehen. Sie machen sich chronisch über alles Mögliche Sorgen – über die Gesundheit ihrer Liebsten, finanzielle Fragen, Alltagsdinge oder die Zukunft – selbst wenn aktuell kein akuter Anlass besteht. Diese diffusen Ängste sind kaum kontrollierbar und gehen oft mit körperlichen Symptomen einher.
Symptome: Menschen mit generalisierter Angststörung fühlen sich nahezu ständig angespannt und nervös. Typische körperliche Anzeichen sind Zittern, Schwitzen, Herzklopfen oder ein Engegefühl in Brust und Kehle. Viele klagen über Muskelverspannungen, Magen-Darm-Beschwerden oder Schwindel. Durch die anhaltende innere Anspannung treten außerdem häufig Schlafstörungen und Konzentrationsprobleme auf. Im Gegensatz zu einer Panikattacke entwickelt sich die Angst hier nicht plötzlich, sondern schleicht sich allmählich ein und hält dauerhaft an. Betroffene wirken oft rastlos, gereizt oder dauerhaft besorgt. Sie können sich nur schwer entspannen, da der Körper gewissermaßen im Dauer-Alarmzustand ist (das Stresshormon Adrenalin wird chronisch ausgeschüttet). Häufig besteht gleichzeitig eine depressive Verstimmung oder es kommt zu Alkohol- oder Beruhigungsmittelmissbrauch, weil die Person versucht, sich selbst zu beruhigen.
Verlauf: Eine generalisierte Angststörung beginnt meist schleichend. Oft entwickeln sich die übermäßigen Ängste über Jahre und werden zunächst gar nicht als krankhaft erkannt (“Ich bin halt ein Sorgenmensch”). Ohne Behandlung verläuft die Störung meist chronisch-fluktuierend: Das heißt, die Intensität der Angst kann über die Zeit schwanken – es gibt bessere Phasen und dann wieder Zeiten mit starker Angst. Typischerweise tritt die Erkrankung erstmals im jungen bis mittleren Erwachsenenalter auf. Viele Betroffene suchen zunächst wegen körperlicher Beschwerden (z.B. Herzrasen, Magenprobleme oder Schlaflosigkeit) ärztlichen Rat, da sie nicht glauben, dass „nur“ Angst dahinter steckt. Wird die Angststörung erkannt, stehen jedoch die Chancen gut, sie mit der Zeit in den Griff zu bekommen: Langfristig schaffen es viele Menschen, ihre Ängste zu überwinden. Allerdings neigen manche zu Rückfällen, besonders bei neuen belastenden Lebensereignissen oder andauerndem Stress.
Behandlung: Angststörungen lassen sich durch Psychotherapie und – falls nötig – auch medikamentös effektiv behandeln. Als Therapie der ersten Wahl gilt die kognitive Verhaltenstherapie (KVT). Dabei lernt die Person, ihre Katastrophengedanken zu hinterfragen und schrittweise einen neuen Umgang mit der Angst zu finden. Ein wichtiges Element ist das Expositionstraining: Man setzt sich bewusst den angstauslösenden Situationen oder Reizen aus (im sicheren Rahmen der Therapie), um zu erleben, dass die befürchtete Katastrophe ausbleibt und die Angst nach einiger Zeit von selbst abnimmt. Bei der generalisierten Angststörung, die nicht an spezifische Auslöser gebunden ist, steht im Vordergrund, die ständigen Sorgen zu durchbrechen – z.B. durch fest eingeplante “Sorgenzeiten” am Tag oder Techniken, die grübelnde Gedanken stoppen. Ergänzend helfen Entspannungsverfahren wie autogenes Training oder progressive Muskelentspannung nach Jacobson, um den übererregten Körper herunterzufahren. Auch regelmäßiger Sport und Achtsamkeitsübungen können Angstsymptome lindern. Falls die psychotherapeutischen Maßnahmen nicht ausreichen, können Medikamente eingesetzt werden: Hier kommen vor allem Antidepressiva (insbesondere SSRIs oder SNRIs) infrage, da sie sich auch bei Angstbewältigung bewährt haben. Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine wirken zwar rasch angstlösend, werden aber wegen ihres Abhängigkeitspotenzials nur kurzfristig oder in akuten Krisen eingesetzt. Wichtig ist zudem, verstärkende Faktoren zu minimieren: etwa den Konsum von Koffein, Nikotin und Alkohol zu reduzieren, da diese Substanzen innere Unruhe fördern können. Mit Therapie und eigenem Training können viele Menschen mit generalisierter Angststörung wieder einen normalen Alltag führen. Allerdings braucht es oft einige Monate Geduld, bis sich tief verwurzelte Angstgewohnheiten dauerhaft verändern.
Panikattacken und Panikstörung
Eine Panikattacke ist ein plötzlich auftretender Anfall intensiver Angst, der typischerweise seinen Höhepunkt innerhalb von Minuten erreicht. Betroffene verspüren ohne Vorwarnung ein extremes Angstgefühl, oft gekoppelt mit massivem körperlichen Unbehagen – manche denken, sie hätten einen Herzinfarkt oder „müssten sterben“. Typische Symptome einer Panikattacke sind:
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Herzrasen oder Brustschmerzen
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Atemnot oder Hyperventilation (schnelles, flaches Atmen)
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Schwindel und Benommenheit
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Zittern und Schwitzen
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Kribbeln oder Taubheitsgefühle in Armen und Beinen
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Hitze- oder Kältewellen
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Intensives Angstgefühl, die Kontrolle zu verlieren oder ohnmächtig zu werden
Während einer Panikattacke steigert sich die Angst oft zu regelrechter Todesangst. Viele Betroffene haben das Gefühl, die Situation nicht überleben zu können oder verrückt zu werden, da sie sich die heftigen körperlichen Reaktionen nicht erklären können. Medizinisch betrachtet sind Panikattacken jedoch ungefährlich: Es handelt sich um einen Fehlalarm des Körpers. Das vegetative Nervensystem schüttet plötzlich Stresshormone (Adrenalin) aus, als stünde Lebensgefahr bevor – Puls, Atmung und Muskelspannung schießen hoch, obwohl keine echte Bedrohung vorliegt. Wichtig zu wissen ist, dass eine Panikattacke von selbst wieder abklingt. In der Regel dauern die akuten Symptome nur wenige Minuten bis höchstens 30 Minuten an. So furchterregend die Attacke im Moment auch ist, der Spuk ist meist nach 10–30 Minuten vorbei und hinterlässt körperlich keine Schäden.
Wenn Panikattacken wiederholt auftreten, spricht man von einer Panikstörung. Viele Menschen entwickeln dann zusätzlich eine „Angst vor der Angst“: Aus Furcht vor neuen Attacken beginnen sie, bestimmte Orte oder Situationen zu meiden – zum Beispiel Menschenmengen, enge Räume, Autofahren oder alleine das Haus zu verlassen. Dieses Vermeidungsverhalten kann zu einer Agoraphobie (Platz-/Raumangst) führen und das Leben stark einschränken. Einige Betroffene ziehen sich zunehmend zurück und trauen sich kaum noch aus ihrer „sicheren Zone“ heraus. Ohne Behandlung können sich Panikstörung und Agoraphobie gegenseitig verstärken und chronisch werden.
Was tun bei einer akuten Panikattacke? Zunächst hilft es, sich bewusst zu machen: Die Symptome sind zwar äußerst unangenehm, aber nicht gefährlich. Versuchen Sie, ruhig zu atmen – atmen Sie langsam tief in den Bauch ein und aus. Eine bewährte Methode ist die 4-7-8-Atemtechnik: 4 Sekunden lang einatmen, 7 Sekunden den Atem anhalten, 8 Sekunden lang ausatmen. Konzentrieren Sie sich auf etwas Konkretes in Ihrer Umgebung (z.B. einen Gegenstand im Raum oder das Muster des Bodens), um den Kreislauf kreisender Angsgedanken zu durchbrechen. Wenn möglich, bleiben Sie in der Situation, bis die Angst nachlässt – so lernt Ihr Gehirn, dass nichts Schlimmes passiert und die Panik von allein wieder vergeht. Sollte die Panik dennoch unerträglich erscheinen, zögern Sie nicht, Hilfe von Außenstehenden anzunehmen: Sprechen Sie jemanden in der Nähe an oder rufen Sie im Notfall den Rettungsdienst. Schon ein beruhigendes Gespräch oder das Gefühl, nicht alleine zu sein, kann helfen, die Attacke abklingen zu lassen.
Behandlung einer Panikstörung: Bei wiederholten Panikattacken ist es ratsam, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Psychotherapie, insbesondere kognitive Verhaltenstherapie, kann Panikstörungen sehr effektiv behandeln. Dabei lernt man, die körperlichen Angstsymptome richtig zu interpretieren (z.B. Herzrasen nicht mehr als tödliche Gefahr zu sehen) und die Angst-Spirale zu durchbrechen. Zentral ist meist das Expositionstraining: Unter Anleitung begibt man sich schrittweise in die Situationen, die Angst auslösen (z.B. wieder Bus oder Bahn fahren), und erlebt, dass man die aufsteigende Panik aushalten kann und sie von selbst wieder abnimmt. Manchmal werden auch körperliche Symptome gezielt ausgelöst (etwa durch schnelle Kopfbewegungen oder Hyperventilation, um Schwindel und Herzklopfen zu provozieren), damit der Patient lernt: „Auch diese Empfindungen kann ich kontrollieren – sie sind nicht gefährlich.“ Ergänzend dazu kann eine vorübergehende medikamentöse Unterstützung sinnvoll sein. Wie bei anderen Angststörungen werden zur Langzeit-Behandlung Antidepressiva (SSRIs) bevorzugt, da sie die Anfälligkeit für Panikattacken reduzieren. Kurzfristig oder in akuten Situationen können auch beruhigende Medikamente (Benzodiazepine) helfen, um die schlimmste Angst zu lindern – jedoch sollten diese wegen des Abhängigkeitsrisikos nur mit Vorsicht und zeitlich begrenzt eingesetzt werden. Wichtig ist außerdem, Risikofaktoren für Panik zu reduzieren: Verzichten Sie möglichst auf übermäßigen Koffein, Drogen und Alkohol, da diese Stoffe das Nervensystem zusätzlich anfeuern und Panik begünstigen können. Achten Sie auf ausreichend Schlaf und bauen Sie Stress im Alltag ab. Mit konsequenter Therapie bestehen gute Chancen, eine Panikstörung zu überwinden – Schätzungen zufolge sind etwa 80 % der Betroffenen nach einer geeigneten Behandlung weitgehend frei von schweren Panikattacken und können wieder am normalen Leben teilnehmen.
Zwangsstörungen (obsessiv-kompulsive Störungen, OCD)
Unter Zwangsstörungen versteht man psychische Erkrankungen, bei denen Betroffene von ungewollten Gedanken oder Handlungsimpulsen „befallen“ werden und sich ihnen nicht widersetzen können. Diese ständigen Zwangsgedanken und/oder Zwangshandlungen nehmen so viel Raum ein, dass sie den Alltag massiv beeinträchtigen können. Beispiele: Ein Mann muss sich 20 Mal hintereinander die Hände waschen, weil ihn der Zwangsgedanke quält, er könnte sonst seine Familie mit Keimen anstecken. Oder jemand kontrolliert immer wieder alle Türen und Herdplatten, aus Angst, es könnte ein Unglück passieren, wenn er etwas nicht überprüft. Auch das zwanghafte Zählen, Ordnen oder bestimmte Sätze/Gebete im Kopf wiederholen (Gedankenzwänge) gehören zu diesem Krankheitsbild. Die Betroffenen erkennen meist, dass ihre Gedanken und Rituale übertrieben oder irrational sind, doch sie können den inneren Drang kaum stoppen. Versuchen sie, dem Zwang zu widerstehen, löst das starke Angst und Unruhe aus – erst das Nachgeben (z.B. die Hände doch noch einmal waschen) beruhigt sie kurzfristig wieder. So entsteht ein Teufelskreis, in dem die Zwänge immer mehr Raum einnehmen.
Häufige Formen: Zwangsstörungen können verschiedene thematische Ausprägungen haben. Sehr häufig ist der Wasch- und Putzzwang: Die dauernde Furcht vor Schmutz oder Keimen führt zu ständigem Händewaschen, übertrieben häufigem Duschen oder stundenlangem Reinigen der Wohnung. Ebenfalls verbreitet ist der Kontrollzwang: Die Person muss wiederholt überprüfen, ob z.B. der Herd wirklich aus ist oder die Haustür tatsächlich abgeschlossen wurde. Beim Ordnungszwang besteht das Bedürfnis, Gegenstände nach einem bestimmten Muster auszurichten – wenn etwas “unordentlich” wirkt, steigt die innere Unruhe stark an. Daneben gibt es Zwangsgedanken, zum Beispiel aggressive, obszöne oder blasphemische Ideen, die der Person völlig fremd sind und enorme Angst auslösen (“Ich könnte meinem Kind etwas antun, obwohl ich das gar nicht will”). Manche Betroffene entwickeln komplexe Rituale, um vermeintlich schlimme Ereignisse abzuwenden, etwa bestimmte Zahlenreihen aufsagen oder Gegenstände immer wieder anfassen. Allen Zwängen ist gemein, dass sie enorm viel Zeit kosten – mehrere Stunden pro Tag sind keine Seltenheit – und somit Beruf, Beziehungen und Lebensqualität stark beeinträchtigen können.
Ursachen und Verlauf: Zwangsstörungen beginnen oft schon im Kindes- oder Jugendalter oder im frühen Erwachsenenalter. Die genauen Ursachen sind noch Gegenstand der Forschung. Es gibt Hinweise auf eine erbliche Veranlagung – in manchen Familien treten Zwänge gehäuft auf. Auch bestimmte Persönlichkeitszüge (z.B. ein übersteigertes Verantwortungsgefühl und Perfektionismus) können eine Rolle spielen. Häufig erleben Menschen mit Zwangsstörung in der Kindheit oder Jugend belastende Ereignisse oder Traumata, die einen Auslöser darstellen könnten. Im Gehirn zeigen sich bei Zwangserkrankungen Auffälligkeiten in bestimmten neuronalen Schaltkreisen (insbesondere im Bereich der Basalganglien und des Frontalhirns), was erklären könnte, warum die “Fehlermeldung” ständig wiederkehrt. Unbehandelt nehmen Zwangssymptome meist einen chronischen Verlauf: Die Rituale können sich über die Jahre ausweiten und immer mehr Zeit in Anspruch nehmen. Allerdings ist das Ausmaß individuell unterschiedlich – manche erleben auch zeitweise Besserungen. Viele Betroffene schämen sich für ihre Zwänge und verheimlichen sie lange, selbst vor nahestehenden Personen. Nicht selten vergehen Jahre, bis sie sich jemandem anvertrauen oder professionelle Hilfe suchen.
Behandlung: Zwangsstörungen sind behandelbar, erfordern aber oft eine spezialisierte Therapie und viel Durchhaltevermögen. Der Goldstandard ist eine Form der Verhaltenstherapie, nämlich Exposition mit Reaktionsverhinderung (engl. Exposure and Response Prevention, ERP). Dabei übt der Patient, sich absichtlich den angstauslösenden Reizen auszusetzen (Exposition) und anschließend die üblichen Zwangshandlungen zu unterlassen. Zum Beispiel berührt jemand mit Waschzwang bewusst etwas „Schmutziges“ und verzichtet dann auf das Waschen. Anfangs schnellt die Angst dabei meist in die Höhe, aber der Therapeut unterstützt die Person, dieses Gefühl auszuhalten – und allmählich nimmt die Angst auch ohne das Ritual wieder ab. Durch Wiederholungen lernt das Gehirn um, dass nichts Schlimmes passiert, wenn der Zwang nicht ausgeführt wird. Diese Methode ist sehr herausfordernd, zeigt jedoch bei konsequenter Anwendung eine hohe Wirksamkeit. Zusätzlich oder begleitend werden oft Medikamente eingesetzt, insbesondere Antidepressiva aus der SSRI-Gruppe. Interessanterweise helfen hier dieselben Mittel wie bei Depressionen, allerdings meist in höherer Dosierung. SSRIs können die „Zwangsschleife“ im Kopf etwas lockern und die innere Anspannung senken, was dem Patienten ermöglicht, die Übungen besser durchzuhalten. Eine vollständige Heilung im Sinne eines völligen Verschwindens aller Zwangsgedanken ist zwar selten. Doch lassen sich die Symptome durch Behandlung so weit reduzieren, dass ein weitgehend normales Leben wieder möglich ist – ein Alltag ohne stundenlange Zwänge. Wichtig ist, frühzeitig Hilfe zu suchen: Wenn die Zwänge noch nicht jeden Lebensbereich dominieren, lassen sie sich leichter unterbrechen. Spezialisierte Psychotherapeut:innen oder Ambulanzen für Zwangsstörungen sind hier geeignete Anlaufstellen. Auch Selbsthilfegruppen können Betroffenen und Angehörigen helfen, Erfahrungen auszutauschen und die Scham zu verringern. Je eher mit einer passenden Behandlung begonnen wird, desto besser sind die Aussichten, die Zwangserkrankung in den Griff zu bekommen.
Hilfe suchen und Hoffnung behalten
Psychische Erkrankungen wie Depression, Angststörungen, Panikattacken oder Zwangsstörungen sind kein persönliches Versagen, sondern behandelbare Krankheiten. Wichtig ist, sich rechtzeitig Hilfe zu holen. Erste Anlaufstelle kann die Hausärztin oder der Hausarzt sein, der einen bei Bedarf an Fachärzte (Psychiater) oder Psychotherapeuten weitervermittelt. In akuten Krisen – etwa bei Suizidgedanken oder schwerer Panik – sollte man nicht zögern, den ärztlichen Notdienst oder Notruf (112) zu kontaktieren. Es gibt zudem kostenfreie Krisentelefone und Beratungsstellen, die rund um die Uhr erreichbar sind (z.B. die Telefonseelsorge). Für längerfristige Unterstützung eignen sich Psychotherapie oder auch Selbsthilfegruppen, je nach Problemlage. Angehörige und Freunde können Betroffenen beistehen, indem sie Verständnis zeigen und praktische Hilfe im Alltag bieten, ohne Druck auszuüben oder zu urteilen.
Die gute Nachricht: Durch die heutige Vielfalt an Therapien und Hilfsangeboten bestehen sehr gute Chancen, diese psychischen Erkrankungen zu bewältigen. Viele ehemals Betroffene können dank Behandlung wieder ein erfülltes Leben führen. Scheuen Sie sich also nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen – psychische Gesundheit ist genauso wichtig wie körperliche. Mit Geduld, der richtigen Therapie und Unterstützung kann der Weg aus Depression, Angst oder Zwang gelingen.
Quellen:
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Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
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Pharmazeutische Zeitung
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Malteser Hilfsdienst
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Gesundheitsportal (gesund.bund.de)
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Gesundheitsportal (gesund.bund.de)
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Universitätsklinikum Frankfurt (Depressionsambulanz)